Jungfrau Marathon 2008

Angefangen hat alles in einem Moment, als ich im Job nicht so die richtige Perspektiven hatte und ich ein Ziel brauchte. Ein besonderer Event musste her. Meine persönliche Bestzeit hatte ich im April beim Citymarathon in Zürich geschafft. Drei Stunden kölnisch Wasser sag ich immer; sprich 03:47:11.  Dazu kam, dass mein Mann  mit seinem Freund Daniel eigentlich den TransAlpineRun laufen wollte. Daniel hatte sich jedoch übel verletzt. Für das besondere Projekt hatten beide auch schon gut im Siebengebirge trainiert, aber das wurde nun nichts. Da Torsten – mein Mann- den Jungfrau Marathon 2004 schon einmal gelaufen ist, ist der Lauf ein guter Ersatz für die Alpenüberquerung und für mich genau das richtige Ziel! Leider war der Lauf schon hoffnungslos ausgebucht, aber durch das Gästebuch auf der Homepage haben wir zwei Startplätze ergattern können. Genau zum richtigen Zeitpunkt. Noch 8 Wochen Trainingszeit. Auf geht’s!

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Jungfrau Marathon Höhenprofil

Ab sofort war ich am Wochenende Stammgast auf der Fähre auf die andere Rheinseite nach Oberkassel, um mich dann im Siebengebirge an das Laufen im Gebirge zu gewöhnen. Die Steigungen im Rheinland sind schon ähnlich, aber wir haben hier längst nicht die Höhenmeter und somit natürlich auch nicht die Längen der Steigungen  wie in der Schweiz!

Ich hatte im Sommer viel Spaß im Wald, denn das Laufen im Wald ist bei Hitze einfach angenehmer für mich. Auch wenn so mancher Tourist sich an die Birne gefasst hat, warum man am Sonntag schnaufend den Drachenfels hoch läuft – manchmal auch mehrmals –  habe ich mein Training durchgezogen und bin fit für das große Ereignis.

Dienstag vor dem Lauf bin ich mit einem Dauergrinsen nur 9 km am Rhein gelaufen, oder besser geflogen! Ich muss jetzt endlich an den Start! Mittwoch noch mal die gleiche Strecke. Pflichtlauf. Danach Tasche packen! Donnerstag es geht los! 6 Uhr aufstehen; 7 Uhr ab ins Auto und los. Das Wetter ist echt übel und auch schlecht angekündigt. Viel Regen und starker Wind. Was ziehe ich bloß auf dem Lauf an?  Habe eine Vielzahl an Sachen mit, Vorbereitung ist eben alles!  Noch 250 Km zu fahren und es wird langsam trockener. Ich denke an die E-Mail von Gerd aus dem Jogmap Forum, der zwei unterschiedliche Wettervorhersagen hat und einfach an die bessere glaubt! Vielleicht treffe ich den Unbekannten aus dem Internet beim Lauf. Wir könnten ungefähr das gleiche Tempo haben und er hat geschrieben, woran ich ihn erkennen werde.

Ankunft in Lauterbrunnen. Ein Banner „Welcome  Runners“ schmückt die Straße. Toll!  Wir haben uns für ein Hotel in Wengen entschieden, da es auf 1284 Höhenmetern  ist und wir uns –  so glauben wir –  an die etwas dünnere Luft in der Höhe  gewöhnen können. Auto ins Parkhaus und ab in die Bahn. Die Fahrt mit der Bahn ist dann wohl ein kleiner Vorgeschmack, für das was da auf mich zukommt. Mein Mann hat mir im Vorfeld schon viele Details berichtet, aber live ist eben doch anders. Ganz schön steil!

Meine Startnummer für den schönsten Bergmarathon der Welt
Meine Startnummer für den schönsten Bergmarathon der Welt

Angekommen im Ort genießen wir aber erst mal das schöne Wetter. Füttern Vogel auf einer Bank mit freiem Blick auf die Jungfrau. Wir entscheiden uns dann, die Laufschuhe ein wenig warm zulaufen. Und ab da wird mir echt mulmig. Ich fühlte mich gut trainiert und vorbereitet. Aber die kleinen Anstiege und die dünne Luft machen es mir schwer. Die Worte von Torsten,  dass es der langen Fahrt liegt, trösten mich nur bedingt.

Freitag. Startnummern abholen!  In der ganzen Region ist der Spirit vom Marathon zu spüren. Auf dem Weg zum Festzelt in Interlaken kommen uns die Sieger aller Läufe auf Plakaten an den Straßenlaternen entgegen. Wir treffen auch gleiche ganze Gruppe Läufer aus unserer Region. Das Rheinland ist eben überall! Ich bin glücklich mit meiner Startnummer. Marschtabelle für 5 Stunden ebenfalls abgeholt. Nun genießen wir noch ein wenig Atmosphäre im Festzelt und  verwöhnen uns dann mit dem Business Lunch im besten Hotel der Stadt, dem Victoria Jungfrau Grand Spa. Am Nachmittag entschließen wir uns noch mal zu Laufen. Torsten dreht mehrere

Runden im Ort und entschließe mich schnell, mich wieder auf die Bank zu setzen und auf die Jungfrau zu schauen. Ich stimme mich mental auf den großen Tag ein. Ich unterhalte mich mit  meinem Banknachbarn, der auch beim Lauf dabei ist. Ein Niederländer  (wo trainiert der bloß Berge?). Wir philosophieren übers Wetter  und  wünschen uns viel Glück. Torsten und ich ziehen uns auf die Sonnenterasse im Hotel zurück. Von dort haben wir  ebenfalls einen  perfekten Blick auf die Jungfrau. Abends schlagen beim Pastabuffett im Hotel zu und fallen müde ins Bett.

Samstag! Ich habe gut schlafen und bin sogar 10 Minuten vor dem Wecker wach geworden. Der erste Blick aus dem Fenster verrät: trocken und es scheint ein schöner Tag zu werden. Super! Nach dem Frühstück machen wir uns auf. Um 7:12 fährt die Bahn von Wengen ab.  Der Zug ist voll mit Läufern. Die Luft ist ein Mix aus Müdigkeit und Anspannung. Es ist ganz still. Die Berge sehen toll aus im Morgenlicht. Ich versuche meine Nervosität mit Unterhaltungen zu überbrücken. Torsten sitzt ein paar Reihen weiter und macht es ähnlich. Ich sitze einer Begleiterin und einer Läuferin gegenüber. Die Läuferin hat den Lauf schon einige Mal hinter sich und ist gut drauf. Sogar ihr Vater läuft mit, der steigt auf der Fahrt noch mit zu. Die Begleiterin erzählt mir von Ihrem Mann. Der hat schon einige Triathlon hinter sich. Sie meint,  wir Läufer seien alle süchtig. Da kommt der Vergleich von der Läuferin  ins Spiel, das sie sich auch jeden Morgen die Zähne putzt aber auch nicht süchtig danach sei. Ich finde den Vergleich sehr schön.

Ich habe mich locker eingelaufen. Mit Hilfe eines Starters die Entscheidung getroffen, ob mit oder ohne Sonnenbrille an den Start zu gehen. Mindest drei Mal in die Büsche,  um noch unnötigen Ballast loszuwerden und auf geht’s in den Startblock. Torsten hat mich nochmals bestärkt, dass ich das schaffe, da ich mich gut vorbereitet habe. Wir wünschen uns viel Glück und werden uns im Ziel wieder sehen. Er wird schon geduscht und massiert sein, wenn ich den Gipfel erreicht  habe.

Nun stehe ich da drin im Pulk der Läufer. Sehen eigentlich alle ganz normal aus, denke ich noch. Dann kommt der Startschuss. Drei Kanonenschüsse vernehme ich im hinteren Bereich. Das Echo gibt diese nach kurzer Zeit nochmals wieder. Bei strahlendem Sonnenschein geht es los. Wir drehen erst noch eine Ehrenrunde durch Interlaken bevor es raus geht in die Natur. Es ist anfangs sehr eng und ich kann nicht wirklich locker laufen, denn ich muss aufpassen, dass ich mich nicht in andere Füße verhake. Aus der Stadt raus wird es besser. Aber dieser Marathon ist kein normaler Marathon. Es gibt immer wieder Wege, wo es ganz eng wird. Beim schönsten und anspruchvollsten Marathon Europas gilt es eben die Natur zu genießen. Bei Kilometer 10 bin ich absolut im Zeitrahmen meiner Marschtabelle. Diese wird mir aber bald sehr egal. Ich lasse sie am Arm,  aber ich werde sie erst wieder bei 04:32 beachten. Die erste Hälfte des Marathons ist flach mit dann und wann ein paar wirklich nur kleinen Anstiegen, die aber so machen Läufer schon zum gehen bringen. Ich peitsche mich ein mit Musik und laufe sehr vergnügt durch das faszinierende Tal. Leider erinnere ich mich nicht mehr genau, ab wann der Wahnsinn losgeht. An einer Verpflegungsstation treffe ich die nette Amerikanerin wieder. Sie hat uns morgens  im Zug erzählt, dass sie  mit Ihrem Mann auf Hochzeitsreise in der Schweiz sei. Und der Marathon ist inklusive! Gott sei Dank, haben wir unsere schon hinter uns, denn die Idee könnte auch von Torsten sein. War es ab Halbmarathon oder später? Ich schmeiße mir vorsorglich schon mal mein Marschmello rein, der mir Kraft für den Berg geben soll.  Dann erreichen wir Lauterbrunnen. Die Stimmung ist toll. Ich staune, wie laut doch so eine kleine Kuhglocke sein kann. Die Bewohner läuten alle mit Ihren Glocken und peitschen uns an. Kurze Zeit später wird es still. Der erste wirkliche Anstieg, der einfach auf einmal da ist und  nicht enden will. Anfangs laufe ich noch fröhlich weiter, denn das hatte ich im Siebengebirge trainiert. Doch irgendwie gehen alle! Und da ich nicht einzuschätzen weiß, was da noch kommt, mache ich es genauso. Still marschieren wir alle den Berg hoch. Wir schlängeln uns immer weiter, immer weiter. Es nimmt kein Ende. Eine nette Abwechslung ist die plötzlich Frage: „Hallo, na wie läuft es sich mit der Sonnenbrille?“ Der Läufer hat mir bei meiner Entscheidung vorm Lauf geholfen.  Ich spüre, das mich das Marschieren und die Körperhaltung der anderen Läufer runter zieht. Ich habe mich ganz fest drauf programmiert immer Körperspannung zu halten, weil es dann besser vorwärts geht. Es muss etwas passieren, aber Laufen kann ich auch nicht! Ich erinnere mich an die Worte meines Mannes. Der hat sich beim 100 KM Lauf in Biel am Ende durch „schreien“ motiviert. Ich denke viel zulange darüber nach und dann tue ich es einfach. Verwunderung um mich herum und dann laufe ich einfach weiter.  Zwischendurch kommen immer wieder Passagen, die Flach sind. Hier kann ich mich prima erholen und wieder ordentlich Laufen. Auf einmal merke ich,  dass ich schon in Wengen  bin. Hier herrscht eine sensationelle Stimmung. Der kleine Berg in Wengen, der mich am Tag der Ankunft so fertig gemacht hat, ist diesmal gar kein Thema. Kilometer 30 ist also erreicht. Es wird sogar mein Name über den Lautsprecher gesagt. Das motiviert. Nun laufe ich flink in unser Hotel, dort habe ich mit an der Rezeption meinen Trinkrucksack deponiert. Rein – raus – Rucksack umgeschnellt und wieder auf die Strecke. Ich treffe aber sofort die Entscheidung doch ohne zu laufen, obwohl ich beim Training gut damit zu Recht gekommen bin. Ich suche mir ein Opfer und bitte einen Zuschauer den Rucksack im Hotel abzugeben und mache mich wieder auf die Socken. Die Streckenverpflegung ist so gut, dass ich nichts Eigenes zu Trinken brauche. Den Anstieg, der nun kommt, habe ich am ersten Tag schon bei einem  Spaziergang kennen gelernt.  Ich mache mir meine  Musik wieder an und Laufe den Berg in Wengen hoch, fast bis zur Bergstation. Ich ernte respektvolle Blicke, denn die Vielzahl geht. Aber das ist wirklich noch nichts. Die Anstiege, die noch vor mir liegen sind nicht zu beschreiben. Ich kannte viele Bilder aus dem Internet und die Erzählungen von meinem Mann. Aber es zu erleben ist eben noch etwas anderes. An den Verpflegungsstationen sehe ich immer wieder Läufer, die sich Massieren lassen oder mit starken Krämpfen zu kämpfen haben. Mir geht es die ganze Zeit prima und ich habe keine schlechten Gedanken. Ich freue mich auf den Zieleinlauf, den ich mir bei Training schon so oft ausgemalt habe.

Ich Laufe über einen Schotterweg der ziemlich flach ist und bin aber schon fast bei Kilometer 35 und ich frage mich die ganze Zeit,  wann kommt die gefürchtete Stelle namens WIXI. Bei den Gedanken sehe ich einen Mann in ganz orange, das muss der Ehemann von der anfangs erwähnten Begleiterin sein. Ich spreche ihn frech auf seinen letzten Triathlon an. Bingo! Er ist es und fragt sich natürlich,  warum ich das weiß. So kläre ich ihn auf und wieder ist Zeit vergangen und ich habe Strecke hinter mich gelassen.

Dann sind wir auf einem Weg, der sehr steinig ist und so langsam kündigt sich Wixi an. Wir können nur langsam alle hintereinander her gehen. Und dann sehe ich ein Schriftzug auf ein T-Shirt, den ich schon mal gelesen habe und eine gelbe Kappe. „Gerd?“ Es ist der fremde aus dem Jogmap Forum. Wir freuen uns, dass wir uns getroffen haben. Er sagt wir hätten uns schon ein paar Mal überholt, aber er hat mich nicht erkannt. So können wir uns mit der Unterhaltung prima ablenken und die Zeit vergeht. Zeit ist hier ein gutes Stichwort. Die Marschtabelle. So nach  04:32  komme ich auf die Idee zu fragen, ob wir es unter 5 Stunden schaffen. Ich scheine wohl ein guten Witz gemacht zu haben, denn ich ernte Gelächter. „Auf keinen Fall“ Wir können nicht weit sehen, da es sehr nebelig geworden ist und auch frisch. Gott sei Dank habe ich eine dünne Windjacke dabei, die ich nun auch anziehe. Der Blick reicht doch aber bis zur legendären Moräne! Wir können sehen, dass die Strecke aufgeteilt wurde, damit es nicht zum Stillstand kommt. Ich will unbedingt auf die Originalstrecke,  flehe ich Gerd an und so kommt es auch. Der Alternativweg ist abgesperrt und wir kommen auf die letzten Kilometer, die mit nichts zu vergleichen sind. Ich habe nur noch zwei Gedanken: Ich will den Dudelsackspieler hören – Torsten hat gesagt, wenn ich den höre, habe ich es geschafft – und ich habe HUNGER!

Auf der Moräne schießen mir zwischendurch immer wieder Tränen in die Augen, vor Glück, dass ich das hier geschafft habe. Dann höre ich die Musik aus dem Dudelsack, und das ist das Kommando das sie mir richtig über die Wangen fließen. Dann geht es ein wenig  bergab  und die ersten Zuschauer feuern uns wieder an. Die einzigen Zuschauer, die wir auf den letzten 4 Km hatten, waren Geißböcke, die sich sogar streicheln ließen! Eine kleine Hürde kommt noch, die mir mit einem Stück Schokolade versüßt wird und dann geht es nur noch bergab und ins Ziel. Abwärts zu laufen fühlt sich sehr merkwürdig an und ich krieg die Kurven nicht richtig. Ich sehe

meinen Mann von weitem Winken, der Fotos von mir macht. Er kommt mir wie immer entgegen und ich drücke ihm für das Zielfoto meine Jacke in die Hand, damit man auch ja die Startnummer erkennen kann. Ich hab’s geschafft. WAHNSINN.

Torsten macht ein paar Siegerfotos von mir und ich merke, wie kalt es doch eigentlich hier oben ist. Er hat schon alles erkundigt, da er ja schon, wie anfangs erwähnt, geduscht und massiert ist. So habe ich dann schnell meine  Tasche und ab zum duschen, vorher noch einen Snack aus dem Finisher Bereich mitgenommen. Der krönende Abschluss aber ist die Massage. Während ich dusche  reserviert Torsten einen Massageplatz für mich. Das hatte ich noch nie nach einem Marathon. Göttlich. Das Metall  wird natürlich nicht abgenommen dabei! Im Ziel habe ich vorher noch Gerd getroffen. Er ist auch sehr zufrieden mit seiner Zeit. Wir machen noch schell ein Foto von uns,

 

und gehen dann unseren Weg. Dabei treffe ich auch den Holländer und weitere Wegbegleiter. Alle sind froh es geschafft zu haben.Auch die Fahrt zurück nach Wengen mit der Bahn klappt super. Ganz entgegen den Ankündigungen. Ich habe auf der Strecke von Läufern gehört, die Stunden auf eine freie Bahn warten musste

Ich bin sehr stolz, dass ich ohne Zipperlein und Schmerzen diesen Marathon geschafft habe. Mach ich das noch mal? Es schleichen sich Gedanken ein, was ich beim nächsten Mal anders machen würde…. Wir werden sehen!

Heideider Jungfrau Marathon 2008       Torsten Schneider Jungfrau Marathin 2008 kurz vorm FinishHeide und Torsten Schneider 2008 Finish Jungfrau Marathon

 

 


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